|
|
 |
(BKM). Er ist Isländer, Nationalspieler seines Landes, Linkshänder, verheiratet und seit kurzem stolzer Papa: Thorir Olafsson, genannt "Totti", Neuzugang des TuS N-Lübbecke auf der Rechtsaußenposition. Wie klappte die Umstellung aus dem kalten Hafnafjördur ins vergleichsweise tropische Lübbecke? In einen über zweistündigen Gespräch lernen wir "Totti" besser kennen:
Thorir Olafsson ist sehr extrovertiert und lacht viel, auch wenn er ganz von allein darauf hinweist, dass „ich mit meinen bisherigen Leistungen beim TuS N-Lübbecke überhaupt nicht zufrieden sein kann“ (Das Interview fand vor dem Spiel gegen Delitzsch statt, nach dem Totti in die "Mannschaft der Woche" der "Handball-Woche" gewählt wurde).
Aber „beim Dirk läuft es super“, und das freue ihn ohne Einschränkung. „Was ich zum Mannschaftserfolg beitragen kann, das werde ich immer versuchen“, hofft Thorir, den im TuS-Teamkreis alle „Totti“ nennen, noch auf viele erstklassige Leistungen im Nettelstedter Dress.
Hohe Zuschauerzahl beeindruckt
Die Niederlage gegen Melsungen habe alle mächtig gewurmt, will Olafsson nichts beschönigen, zumal „so Mannschaften wie Minden, Düsseldorf und Melsungen Gegner sind, die Du eigentlich schlagen musst“. Andererseits gelte es jetzt auch nach vorne zu schauen, für den TuS insgesamt und auch auf sich selbst bezogen. „In der Handball-Bundesliga müssen alle 100 Prozent geben“, sei er sich bewusst, mit dem Wechsel nach Deutschland auch ein gewisses Risiko eingegangen zu sein. „Es ist vieles anders. Das fängt bei den großen Hallen und der immensen Zuschauerresonanz schon an.“ Klar, jetzt neulich in Kiel waren es rund 10000 Leute, die zuschauten, „dagegen sind es in Island kaum mehr als 300, vielleicht mal 400 Zuschauer“, und geht es ums Endspiel der Meisterschaft, erhöhe sich die Zuschauerzahl für dies eine Mal gerade mal auf 1000.
„Viele Handballer haben eine gewisse Zeit benötigt, um in der deutschen Bundesliga Fuß zu fassen“, bittet er einerseits um etwas Geduld, um gleich deutlich zu machen, „dass ich selbst es bin, der sich recht stark unter Leistungsdruck setzt.“ Mehr Erfolgserlebnisse führten auch rasch zu mehr Selbstvertrauen, weiß Thorir Olafsson. Und weil er weiter unbeirrt an seinen baldigen Durchbruch in der Liga glaubt, hat er den Schritt, in die Bundesliga zu wechseln, auch noch zu keiner Stunde bereut. Im vergangenen Frühjahr lagen Olafsson von zwei deutschen Bundesligisten (einschließlich TuS N-Lübbecke) sowie von Klubs aus Dänemark und der Schweiz Angebote vor. Nettelstedt sei dann der Verein gewesen, der mit einem konkreten Vertragswerk an ihn herangetreten sei. So sei es zur Verpflichtung gekommen.
Auf Island Amateur
Mit zehn Jahren ist Thorir Olafsson erstmals dem Handball hinterher gejagt. Zwischen dem 16. und dem 18. Lebensjahr hat es dann eine Pause gegeben, weil es keine U 16 in seinem Klub im 5000-Seelen-Ort gegeben hat. Als es zurück auf das Spielfeld ging, gab es kein Halten mehr, rasch war man in der Hauptstadt Reykjavik auf das Talent aufmerksam geworden. So lange „Totti“ aber noch in Island spielte, musste er tagsüber in seinem erlernten Beruf Geld verdienen. Hier arbeitete Thorir für ein Telekommunikationsunternehmen, schloss in Privat- und Geschäftsräumen, aber auch „in Telefonzellen an der Straße“ neue Leitungen an, besonders auch für das Internet.
Derzeit aber ist Thorir Olafsson Profihandballer und steht seinen Mann beileibe nicht nur im TuS-Team. Für die isländische Nationalmannschaft steht im Januar und Februar die nächste Europameisterschaft auf dem Terminplan. In Sursee trifft sich die Vorrundengruppe C und Island hat sich dann mit Dänemark, Ungarn und Serbien-Montenegro auseinanderzusetzen. Begonnen hat die Karriere unserer Nummer 24 in der Nationalmannschaft im Jahr 2001. Thorir war 20 Jahre alt und es ging gegen die USA. Zu jener Zeit war „Totti“ dann leider schwerwiegend am Kreuzband verletzt, erst langsam konnte er wieder Anschluss finden.
Jetzt zum Jahresende 2005 ist Thorir Olafsson vor allem mit seiner Familie glücklich. Zwei Monate alt ist der kleine Sohn, der erst bei der Taufe im Januar in Island einen Vornamen bekommen wird. „So ist es bei uns in Island Tradition“, schmunzelt der stolze Papa. „Jedenfalls schläft er (noch) durch“, macht der kleine Kerl derzeit in jeder Hinsicht Freude. Und kerngesund ist der Filius auch. Stolz auf den Kleinen sind natürlich auch Onkel und Tante. Thorirs Schwester ist ein Jahr älter, der Bruder sieben Jahre jünger als der Bundesliga-Handballer im fernen Deutschland. „Mein Bruder spielt auch Handball. Stolz hat er seinen Mannschaftskameraden jüngst das Trikot des TuS N-Lübbecke gezeigt. Ach, was rede ich: Er zieht es gar nicht mehr aus...“, lacht Thorir über beide Backen und freut sich sehr, dass der kleine Bruder ihn zum Vorbild erkoren hat.
Isländer sturer als Ostwestfalen
In Deutschland zu leben, das bringt für unseren isländischen Rechtsaußen eine Menge an neuen Begegnungen, vor allem aber auch Erfahrungen. „Essen und Trinken sind in Deutschland sehr viel preiswerter. Auch in Cafés und Restaurants lebt es sich bei Euch günstiger.“ Anderes sei in Island angenehmer. Sehr viele Geschäfte hätten rund um die Uhr geöffnet, auch an Sonntagen. „In Deutschland musst Du samstags überlegen, ob die Lebensmittel bis Montagfrüh wohl reichen... Für uns ist das schon recht ungewohnt.“ Rasch aber weist er auf einen weiteren Vorteil Deutschlands hin: „In Island laufen viele mit Scheuklappen herum, kennen den nächsten Nachbarn nicht. Hier bei Euch wird stets sehr freundlich gegrüßt!“ Sture Westfalen? „Nee, davon merke ich nichts - ehrlich nicht!“
Noch eine lustige Geschichte zum Abschluss? „Als ich die ersten zwei Monate alleine in Lübbecke gewohnt habe...“ Nanu, kein Heimweh nach der Frau? „Doch schon, aber ich hatte genug zu tun, mir wurde nicht langweilig. Die Mannschaft hat mich ja auch so nett aufgenommen.“ Und das Lustige? Das könne man gar nicht so recht beschreiben. Aber es sei beim Einrichten der Lübbecker Wohnung an der Reineburgstraße passiert. Verzweifelt sei er zunächst an der Aufbautechnik einiger Ikea-Möbel, um dann irgendwann nur noch drüber lachen zu können. Inzwischen steht das Mobiliar, und Thorir fühlt sich mitsamt der Familie pudelwohl in Lübbecke. Und doch steht fest: Die Vorfreude auf die Taufe des Nachwuchses am 7. Januar in der isländischen Heimat ist mächtig groß. Und nach der Karriere soll es auch zurück nach Hause gehen. Bis dahin ist Zeit, sich als Handballer in Deutschland durchzusetzen. Einer, der schon jetzt weiß, dass das klappt, sitzt daheim in Island im TuS-Trikot: der stolze Bruder!
- Andreas Brinkmann - |
|
 |
|
|
|
|